Adolf Brüggemann, Als Offizier der Bundeswehr im Auswärtigen Dienst. Meine Erinnerungen als Militärattaché in Seoul (Republik Korea) 1978–83 und in Prag (Tschechoslowakei/Tschechien) 1988–93, Berlin: Miles 2015, 270 S.,EUR 19,80 [ISBN978-3-945861-13-4]Besprochen von Heiner Möllers: Potsdam, E-Mail:HeinerMoellers@bundeswehr.org

 

In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 2/2017

 

 

Adolf Brüggemann aus Reckenfeld im Münsterland, geboren 1934, trat nach dem Umweg über den Bundesgrenzschutz 1956 in die neu gegründete Bundeswehr ein, durchlief die Ausbildung zum Offizier der Panzeraufklärungstruppe und war darin unter anderem Kommandeur des Panzeraufklärungsbataillons 2 in Hessisch-Lichtenau, nahe der innerdeutschen Grenze. Die militärische Vita des 1993 pensionierten Offiziers unterscheidet sich jedoch auffällig von der zahlreicher anderer Offiziere, die in jüngster Zeit mit Memoiren in Erscheinung getreten sind: Zweimal, zuerst in der damaligen Militärdiktatur Süd-Korea und später an der Botschaft in Prag, war er als Militärattaché eingesetzt. Militärattachés sollen aus offenen Quellen sicherheits- und militärpolitische Informationen aus dem Gastland den eigenen Stellen übermitteln, z. B. dem Bundesministerium der Verteidigung. Dabei sind die Attachés für die Dauer ihres Dienstes dem Auswärtigen Amt zugeordnet und dem Botschafter unterstellt. Dieser hat nicht nur den Anspruch, alle Berichte des Attachés sehen und gegenzeichnen zu»dürfen«, er wäre im ungünstigen Falle auch derjenige, der die Abberufung des Militärattachés auslösen könnte. Denn diese oftmals als »Kämpfer an der Cocktailfront« verballhornten militärpolitischen Seismografen geraten schnell in den Verdacht zu schnüffeln oder gar Spionage zu betreiben. Nicht zuletzt war es ein (preußisch-)deutscher Militärattaché, der 1894 in Paris von einem über seine Verhältnisse lebenden französischen Offizier geheimeDokumente ankaufte, wofür letztlich zu Unrecht Hauptmann Alfred Dreyfus verurteilt wurde. Die Militärattachés der Bundesrepublik Deutschland sind bislang nicht aus ihrem Schattendasein herausgetreten. Die wenigsten sind über die Bundeswehr hinaus namentlich bekannt, vielleicht allenfalls Oberstleutnant Andreas von Mirbach, der beim Überfall der linksterroristischen Bader-Meinhof-Bande auf die Stockholmer Botschaft am 24. April 1975 ermordet wurde. Und nur ganz wenigen war nach ihrer Verwendung im diplomatischen Dienst eine große Karriere in der Bundeswehrbeschieden. Möglicherweise war Jörg Kuebart, Verteidigungsattaché als Oberst in Madrid und später als Brigadegeneral in London und zuletzt als Generalleutnant Inspekteur der Luftwaffe der einzige, der wirklich in die militärische Spitze der Bundeswehr aufgestiegen ist. Bisher war die Einrichtung der Militärattachés bereits Gegenstand einer wissenschaftlich mäßigen Untersuchung (Reinhard Bettzuege, Der deutsche Militärattachédienst. Von den Anfängen der Bundeswehr bis heute, Dresden2005, vgl. die Rezension in MGZ, 66 [2007], 1, S. 240 f.). Ferner liegt auch eine autobiografische Schrift eines im Nahe nOst en und Nordafrika eingesetzten Bundeswehroffiziers vor (Joachim Tzschaschel, Zeitzeuge in Bagdad, Algier, Saigon. Erinnerungen eines deutschen Militärattachés, Frankfurt a. M.2000). Das war’s dann aber auch.MöglicherweiseistdiesaufdieQuellenlagezurückzuführen;soziemlichallesGeschriebenederAttachésdürfteauchheutenochVerschlusssachesein. Adolf Brüggemann durchbricht diese Annahme, wobei er vorher mehrmals über die Tätigkeit als Militärattaché berichtet hat (Adolf Brüggemann, Als Militarattachè aktiver Zeuge in Prag 1989. In: Deutschland-Archiv, 41 [2008], 4, S. 826–835): Als solcher an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland tätig, erlebte und beschrieb er 1989 den Massenexodus von DDR-Bürgern über den rettenden Zaun der (west)deutschen Botschaft in Prag mit dem Ziel, später in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen und der im Untergang befindlichen DDR so den Rücken zuwenden zu können. Im vorliegenden Band weitet er diesen Beitrag aus und beschreibt seine komplette Dienstzeit in Prag, in die der Untergang der DDR, die Auflösung des Warschauer Paktes und der Sowjetunion sowie der Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland wie auch der Zerfall der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik(ČSSR)fiel. Die atmosphärischen Berichte wie auch die täglichen Beobachtungen lassen sich gut lesen und geben einen anschaulichen Eindruck, in welchem Umfeld sich ein Militärattaché zumal in einem Ostblock-Staat bewegte. Erstaunlich ist, dass das Miteinander der ausländischen Militärattachés – sowohl in Prag wie auch in vielen anderen Hauptstädten – ungeachtet der politischen Gegensätze offenbar reibungslos funktionierte, man möchte fast sagen, von Harmonie geprägt war. Dass Brüggemann auch noch zeitweilig der Doyen (Vorsitzender im Sinne eines Dienstältesten) des Militärattaché-Korps war und später seine Funktion an einem im Rang höher stehenden russischen Offizier übergab, mit dem er überdies zuvor sehr gut ausgekommen war, zeugt von der Besonderheit dieser Militärs im »besonderen Auslandseinsatz«. Einzig zu den Attachés der NATO-Staaten bestanden von Anfang an hervorragende Beziehungen, waren doch die Militärattachés aus den NATO-Staaten im Gegensatz zu den Militärattachés des Warschauer Paktes auf sich gestellt, denn sie erhielten keine Informationen vom Gastland und mussten daher alles selbst recherchieren. Da fuhren die Kollegen auch mal gemeinsam auf Entdeckungstour. Dennoch unterlagen und unterliegen Militärattachés – je nach Gastland – unterschiedlich intensiver Überwachung, und ebenso konnte es zuweilen Misstöne geben, wenn z. B. der französische Attaché 1988 seine beiden deutschen Kollegen als »LaGrande Allemagne« bezeichnete (S. 162). Nicht sonderlich bemerkenswert ist natürlich in der Nachschau, dass auch die Staatssicherheit der DDR den Dienst Brüggemanns in Prag frühzeitig zur Kenntnis nahm (S. 154 f.) und auch der BND »seinen« Kundschafter gezielt unterwies. Bemerkenswert sind allerdings die persönlichen Vorbereitungen, die Brüggemann für sein Privat-Kfz unternahm: im wegen der größeren Reichweite neu bestellten Mercedes Diesel war eine verstärkte Unterbodenplatte eingebaut, ebenso verfügte er über stärkere Achsen für Fahrten in schwerem Gelände und elektrische Fensterheber, um schneller fotografieren zu können (S. 156 f.). So konnte Brüggemann, der sich ansonsten vollkommen frei bewegen durfte, in der Tschechoslowakei alles besuchen und fotografieren, wohl  behütet von den Aufpassern, die in einer Pause schon mal die Radkappen seines Fahrzeuges entfernten und am Folgetag zurückbringen ließen (S. 161). Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Gänzlich anders war für Brüggemann der vorherige Aufenthalt als Militärattaché in der Militärdiktatur Süd-Koreas. Deren Sicherheitspolitik und ihre Streitkräfte waren von folgender strategischen Ausgangslage geprägt: Danach war Nord-Korea als Verbündeter der kommunistischen Staatenwelt der potenzielle Gegner Nr. 1. Alles, was Süd-Korea für sein Militär unternahm, war auf diesen Gegner ausgerichtet. Anfänglich herrschte noch eine annähernde militärische Parität zwischen beiden Koreas (S. 142 f.), die vor allem durch die Präsenz der US-Streitkräfte in Ostasien erträglich schien. Doch im Zuge der von US-Präsident RichardNixonverkündetenGuam-DoktrinkameszueinerschrittweisenReduzierung der US-Truppen in Süd-Korea und einer Änderung des militärischen Konzepts zum Schutz Süd-Koreas (S. 43–47). Dieses wie auch andere Ereignisse der Region nahm der deutsche Militärattaché ebenfalls auf und verarbeitete sie im Rahmen seiner Berichterstattung. Dabei wird auch deutlich, dass Süd-Korea damals kaum im Fokus auswärtiger deutscher (Wirtschafts‑)Beziehungen lag. Erst der Aufstieg Süd-Koreas vom Schwellenland zu einem konkurrenzfähigen Industrieland in den 1980er Jahren und die Umwandlung der Diktatur in eine Demokratie verschoben die Wahrnehmungsschwelle in Deutschland. Bis dahin war zeitweilig eine eigenwillige, militärisch dominierte Führungselite an der Macht, wobei Entscheidungen durch die Militärs und den von ihnen gestellten Präsidenten getroffen wurden (S. 100–102). Die auf diese Elite abstützende Militärdiktatur sorgte für den Attaché nicht nur für besondere Wohnverhältnisse mit ständigem Schutz durch das Gastland, sondern auch für eine ständige Bespitzelung durch »Bewacher«. Vor allem über seine eigenen Kontakte zu den US-amerikanischen Streitkräften konnte der Attaché seine Aufgabe der Informationsbeschaffung erfüllen. Die südkoreanischen Stellen hüllten sich dagegen nicht nur in Schweigen, sondern blieben auch wegen ihres Verständnisses von Hierarchien und Zuständigkeiten für den Militärattaché undurchdringlich. Letztlich konnte Brüggemann dort nicht viel in Erfahrung bringen. Aufschlussreich an der Tätigkeit in Süd-Korea sind auch hier Schilderungen Brüggemanns, wenn er z. B. in Gesprächen mit schweizerischen Offizieren Neuigkeiten aus Nord-Korea erfuhr, wo die DDR umfangreiche Wirtschafts- und mutmaßlich auch Militärhilfe leistete (S. 127–130). Dass die DDR auch ihn im Fokus hatte, über ihn schrieb und berichtete, erfuhr Brüggemann, als ihn ein in der DDR abgestempelter Brief mit schließlich südkoreanischer Briefmarke, selbstverständlich mehrfachgeöffnet und gelesen, erreichte (Nicht länger geheim. Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes. Hrsg. von Albrecht Charisius und Julius Mader, 4., überarb. und erg. Aufl., Berlin [Ost] 1980,S. 630).710 Buchbesprechungen OLDENBOURGKurze Schilderungen seines Lebensweges sowie der Ausbildung für die beiden diplomatischen Verwendungen runden diesen lesenswerten Band ab, von dem man sich hier und da etwas mehr Details gerade im Hinblick auf die Wahrnehmung des Militärattachés durch das Gastland und die scheinbar alles überwachende DDR-Staatsicherheit gewünscht hätte. Insgesamt heben sich diese Erinnerungen von denen anderer Offiziere ohne »herausragende Viten« wohltuend ab.