Arbeitskreis Militär und Sozialwissenschaften (AMS)

 

Newsletter 03/04 2006

 

Auszug, Seiten 10 und 11

 

Nachrichten aus dem Einsatzgebiet  

 

Kay Kuhlen, seit 1987 bei der Bundeswehr in verschiedenen Führungs-, Stabs- und Lehrverwendungen in der Truppe und im Generalstabsdienst tätig und derzeit Oberstleutnant und Referent für Militärpolitik bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der Europäischen Union in Brüssel, hat wie so viele Soldaten vor und nach ihm bei seinem Eintritt in die Streitkräfte gelobt, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen; eben so, wie es im Paragrafen 7 des Soldatengesetzes vorgegeben ist. Dass ich dies allerdings auf dem Balkan würde tun müssen, hätte sich 1983 wohl keiner träumen lassen.“ (S. 14) An dieser Formulierung wird deutlich, welch weiten Weg die Bundeswehr seit Ende des Ost-West-Konflikts zurückgelegt hat. Hier, in diesem Buch, erfahren wir darüber eine ganze Menge, und zwar, das macht seinen spezifischen Reiz aus, auf der Mikroebene eines erlebenden Soldaten, der als Peacekeeper im Kosovo tätig war. Möglich wird dadurch, so die durchaus zutreffende Formulierung in dem Klappentext des Buches, ein „Blick hinter die Kulissen der Bühne internationaler Konfliktverhütungspolitik“, der uns, so der Text weiter, „den Alltag der Menschen in einer Welt voller Elend, Zukunftsangst und organisierter Kriminalität“ miterleben lässt.

So erfahren wir also etwas über die Lebensumstände eines KFOR-Soldaten; über seinen beengten Wohncontainer, den Mangel an Privatheit – „Privatsphäre. Das war es in der Tat, was ich am meisten vermisste.“ (S. 43) –, das penetrante Schnarchen des Mitbewohners, die Minengefahr bei Autofahrten, die Unmengen chemischer Zusätze, die dem Leitungswasser zu hinreichender Duschqualität verhelfen wie auch über das Denken an und die Sorge um den Partner und die Familie zuhause.

Wir erhalten einen kleinen Einblick in die Lebensbedingungen der Menschen im Kosovo; in die organisierte Kriminalität, die dort herrscht und deren UNMIK mit Hilfe von KFOR Herr zu werden versucht; über die Clanstrukturen, die das Zusammenleben prägen; über den Kanun, den Verhaltenskodex der Albaner; über den Müll, den die Menschen in der Landschaft entsorgen; über das Allgemeindelikt des Elektrizitätsklaus und über die nicht gerade zimperlichen Versuche der Albaner, den Serben Haus und Hof abzukaufen und sie aus der Provinz zu vertreiben.

Wir bekommen eine Ahnung von der Tätigkeit eines KFOR-Soldaten, der in der Abteilung Militärischer Nachrichtendienst des UNMIK-Hauptquartiers arbeitet und die Einsatzpraxis am eigenen Leib erfährt; von Personalüberprüfungen wegen eines Antrags auf Tragen einer Schusswaffe; von der Hektik, die um sich greift, wenn es Hinweise auf einen Anschlag gibt; von nächtlichen Überwachungsflügen zur Unterbindung von Schmuggelaktivitäten wie auch von Straßenpatrouillen.

Und schließlich können wir uns auch ein plastisches Bild von den praktischen wie inhaltlichen Problemen multinationaler militärischer Zusammenarbeit machen, wenn etwa Sprache und Sprachkenntnisse zur macht- und einflussverteilenden Schlüsselqualifikation wird; wenn von den „erhebliche[n] Nachteile[n]“ (S. 88) die Rede ist, die bestehen, wenn der Personaldurchlauf durch diese Abteilung ein hoher ist; wenn sich Spannungen zwischen Franzosen und Amerikanern auf den täglichen Dienst auswirken; wenn amerikanische Offiziere „ihr eigenes Befehlsrecht als Grundlage nahmen und oft vergaßen, dass dies ein multinationales Hauptquartier war“ (S. 68)

Kuhlen scheut kritische, bisweilen sogar provokante Einschätzungen und Beurteilungen wie diese nicht. So kommentiert er beispielsweise den Besuch des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags im Kosovo mit den Worten: „Keine spezifischen Kenntnisse über sicherheitspolitische Zusammenhänge, kein haushaltspolitischer Background, um kompetent Einfluss auf die Struktur der Streitkräfte zu nehmen?“ (S.118) Er berichtet desillusioniert von dem Verpuffen von Großaktionen wie Razzien, bei denen 15.000 KFOR-Soldaten etwa nach Waffen suchen – „Ein totaler Reinfall eben!“ (S. 213) – wie auch davon, dass es 40.000 Soldaten und Polizisten vor Ort nicht gelingt, „Mord, Erpressung, illegale Straßensperren (...), Drogen-, Waffen-, Zigaretten-, Alkohol- und Menschenschmuggel“ zu unterbinden. (S. 222) Und er kritisiert, dass „von einem gemeinsamen Weg der Internationalen Gemeinschaft nicht die Rede sein [kann]. Das ist insbesondere deswegen schade, da Hunderte Soldaten und Zivilisten über Monate hinweg Achtzehn-Stunden-Tage absolviert haben (oder noch werden), um etwas zu bewegen in dieser Provinz; und sei es nur zu beweisen, dass das Gute über das Böse obsiegen wird.“ (S. 224) „Gezielte zusammengefasste Operationen gab es nicht.“ (S. 222)

Diese Kritik richtet sich auch an die politisch wie militärisch Verantwortlichen, denn das „hohe Maß an Inkompetenz fast aller politischen Strömungen in- und außerhalb der Provinz ließ mich das eine oder andere Mal erschauern und machte auch vor den höchsten militärischen Führern dieser Friedensoperation nicht halt.“ (S. 206) Bei aller Kritik sieht Kuhlen aber auch den Wert der KFOR-Mission: „Für die Menschen, die hier mit den Straßenpatrouillen lebten, war der KFOR-Soldat Garant für körperliche Unversehrtheit und vielleicht wichtiger, Wegbereiter in eine bessere Zukunft.“ (S. 154)  

Es sind wertende Passagen wie diese, die das Buch zu einem Gewinn und lesenswert machen, und kann folglich all jenen empfohlen werden, die sich über die Praxis deutscher Auslandseinsätze etwas genauer informieren möchten.

 

Dr. Gerhard Kümmel