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F-104 Starfighter

Aus Kammhubers Wundertüte

Nach der Indienststellung der F-104 Starfighter im Jahr 1961 in der Bundesrepublik reagieren Öffentlichkeit und Parlament zunehmend alarmiert über eine Serie von tödlichen Abstürzen.

21.11.2016, von REINER POMMERIN

 

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß überreicht am 22.07.1960 Generalleutnant Josef Kammhuber, das Modell eines Starfighters.

Rüstungsgüterbeschaffung erweckt zumeist erst dann öffentliches Interesse, wenn sich damit ein medienwirksamer Verdacht auf einen Bestechungsskandal verbindet. Im Fall der Kaufs der F-104 Starfighter von der Lockheed Corporation schließt Claas Siano Bestechung jedoch - zumindest vorläufig - aus. Neben den Protokollen des Verteidigungsausschusses nutzt er erstmals einschlägige Akten des Führungsstabes der Luftwaffe (Fü L) sowie Material der deutschen Flugzeugindustrie und legt auf dieser Basis eine solide wissenschaftliche Darstellung der Beschaffung der F-104 vor.

 

Während die Luftwaffe ihre Geschwader noch mit den von den Vereinigten Staaten als Erstausstattung gelieferten Jägern F-86 Sabre und Jagdbombern F-84 Thunderstreak ausstattet, sucht der Führungsstab der Luftwaffe nach neuen Einsatzmustern, die der inzwischen vollzogenen technologischen Entwicklung Rechnung tragen. Nach Abschluss eines zweijährigen Auswahlverfahrens gibt das Verteidigungsministerium am 24. Oktober 1958 bekannt, dass die Geschwader der Luftwaffe mit der F-104 Starfighter ausgerüstet werden. Der große Vorteil bei der Beschaffung dieser Maschine sei vor allem, so betont der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Josef Kammhuber, gegenüber dem Verteidigungsausschuss, dass man nicht „die Katze im Sack“ kaufe. Der Starfighter sei ein fertiges Serienflugzeug, bei der Version F-104G (G für Germany) fielen daher keine Entwicklungskosten mehr an.

 

Ein weiteres wichtiges Argument für die Beschaffung der F-104 ist das konkurrenzlose Entgegenkommen der Firma Lockheed, der westdeutschen Luftfahrtindustrie sowie der Industrie anderer Abnehmerstaaten des Flugzeuges einen kompletten Lizenzbau samt Triebwerk und Elektronik anzubieten. So kann die F-104 zu einer Stützung und Weiterentwicklung der deutschen Luftfahrtindustrie vor allem im Süden Deutschlands beitragen, der Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) besonders am Herzen liegt. Da sich neben der Bundesrepublik auch Belgien, die Niederlande und Italien für die F-104 entscheiden, schließen sich Unternehmen aus den vier Staaten für den Lizenzbau in Arbeitsgemeinschaften zusammen. Dabei werden nicht nur deutscherseits die Schwierigkeiten dieses Lizenzbaus erheblich unterschätzt.

 

Die Luftwaffe will nämlich diesen leichten Abfangjäger, der über eine große Fluggeschwindigkeit, Steigfähigkeit, eine Bordkanone mit einer Kadenz von 4000 Schuss pro Minute sowie über Abschussvorrichtungen für Luft-Luft-Raketen verfügt, nicht wie die US Air Force lediglich als Tag- und Abfangjäger einsetzen. Vielmehr soll die deutsche F-104G als Jäger, als Jagdbomber, als Aufklärer und bei der Marine zur Bekämpfung von See-Zielen genutzt werden. Ein Jagdbomber erlaubt als geeigneter Träger für nukleare Bomben eine aktive Mitwirkung der Luftwaffe im Rahmen der geltenden Strategie der massiven Vergeltung, was für Strauß von großer bündnispolitischer Bedeutung ist.

 

Die F-104G - das ist den Abgeordneten im Verteidigungsausschuss allerdings unklar - entspricht jedoch nur noch rein äußerlich der ihnen detailliert vorgestellten amerikanischen Version des Starfighters. Die unterschiedlichen Rollen, welche diese Maschine bei Nacht und wechselhaftem europäischem Wetter übernehmen soll, erfordern zahlreiche, zusätzliches Gewicht verursachende und zudem weitere Haushaltsmittel kostende Modifikationen. Diese reichen von einer Verstärkung des Triebwerks, des Fahrwerks samt größeren Rädern und von Teilen der Zelle bis zur Veränderung des Höhenleitwerks und Vergrößerung der Klappen. Hinzu kommen ein Luft-zu-Luft- und ein Luft-zu-Boden-Radar, eine Trägheitsplattform, ein Autopilot, ein Bombenabwurfrechner sowie grundsätzliche Veränderungen des Navigationssystems, um nur einige Modifikationen gegenüber der ursprünglichen F-104 zu nennen.

 

Gebaut werden zudem noch 189 RF-104G als Aufklärer mit Kameras statt der Bordkanone sowie 220 zweisitzige Trainer TF-104G. Die Luftwaffe sieht sich jedoch wegen der auftretenden Verzögerungen gezwungen, den Anteil der direkt bei Lockheed bestellten Flugzeuge zu erhöhen, um den Aufbau der Geschwader - die Maschine wird 1961 offiziell in Dienst gestellt - nicht weiter zu belasten.

 

Als General Kammhuber im März 1962 - ein halbes Jahr vor seiner Pensionierung - vor dem Verteidigungsausschuss über die Verzögerungen beim Bau und der Einführung des Waffensystems spricht, wird er erstmals mit Kritik an der Beschaffung konfrontiert. Der Inspekteur entschuldigt sich damit, dass er die Beschaffung der F-104 eigentlich gegen seinen Willen vorgeschlagen habe, weil sie noch gar nicht fertig entwickelt gewesen sei. Diese überraschende Aussage findet jedoch keineswegs das eigentlich zu erwartende empörte Echo. Offensichtlich haben die Ausschussmitglieder Kammhubers Äußerung von 1958 zur abgeschlossenen Erprobung der Maschine und damit zur Vermeidung eines Kaufes der „Katze im Sack“ völlig vergessen, oder sie wollen gar nicht nachhaken.

 

Nach Einführung der F-104G lagern die Vereinigten Staaten dann Nuklearbomben bei westdeutschen Jagdbombergeschwadern, deren Flugzeugführer die nur ihnen bekannten streng geheimen Ziele auswendig lernen und entsprechende Abwurfverfahren üben müssen. Nicht nur die Bombenlager stehen unter strengster amerikanischer Bewachung, diese gilt auch für die während der Alarmbereitschaft im Cockpit ihres mit nuklearen Bomben beladenen Flugzeugs sitzenden deutschen Piloten. Den mit Codes sowie doppeltem Schlüssel besonders gesicherten nuklearen Einsatzbefehl kann auch weiterhin natürlich allein nur der amerikanische Präsident erteilen.

 

Nach der Indienststellung der F-104G im Jahr 1961 reagieren Öffentlichkeit und Parlament zunehmend alarmiert über die Serie von tödlichen Abstürzen, während die vor Einführung des Starfighters erfolgten tödlichen Abstürze auf anderen Flugzeugmustern, falls überhaupt, zumeist nur regionale Aufmerksamkeit erhalten haben. Der Druck des Parlaments sowie vor allem die von dem seit 1966 amtierenden Inspekteur der Luftwaffe Johannes Steinhoff ergriffenen Maßnahmen führen zu Verbesserungen im Bereich der Technik, der Logistik, der Ausbildung und zu Veränderungen von Zuständigkeiten im Ministerium. Schließlich erfolgt nach weiteren Abstürzen 1967 die Einführung des Martin-Baker Schleudersitzes: Der mögliche „Ausschuss bei Höhe und Geschwindigkeit Null“ verringert dann merklich das Risiko. Die Bundesrepublik wird für Luftwaffe und Marine insgesamt 916 Starfighter erwerben, bis zur Ausmusterung der Maschine im Mai 1991 insgesamt 269 Unfälle verzeichnen und vor allem den Tod von 108 zumeist jungen deutschen Piloten zu beklagen haben.

 

Claas Siano: Die Luftwaffe und der Starfighter. Rüstung im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Militär. Carola Hartmann Miles Verlag, Berlin 2016. 367 S., 24,80 €.