FAZ vom 15.8.2016
Veteranen der BundeswehrUnsichtbare sichtbar machen
Im Herbst 2013 hatten die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD im Koalitionsvertrag ihre gemeinsame Verantwortung für Veteranen der Bundeswehr betont. Inzwischen wird zwischen Soldaten und Einsatzsoldaten sowie zwischen Veteranen und Einsatzveteranen unterschieden.
Für viele Deutsche wird das Wort „Veteran“ weder mit der Bundeswehr noch mit ihren Auslandseinsätzen in Verbindung gebracht. Erst 2011 hatte Verteidigungsminister Thomas de Maizière den Begriff wieder eingeführt: Veteran war für ihn jeder Soldat, der im Einsatz war und die Bundeswehr ehrenhaft verlassen hat. Für den CDU-Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter, Präsident des Reservistenverbandes, ist jedoch jeder ehemalige Soldat ein Veteran, auch wenn er nicht im Auslandseinsatz gewesen ist. Im Herbst 2013 hatten die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD im Koalitionsvertrag ihre gemeinsame Verantwortung für Veteranen der Bundeswehr betont. Dies gelte auch „für die Fürsorge für Verwundete . . . und die würdige Gestaltung der Erinnerung an unsere Gefallenen und Toten“. Inzwischen wird zwischen Soldaten und Einsatzsoldaten sowie zwischen Veteranen und Einsatzveteranen unterschieden. Die Herausgeber des Buches verfügen über Einsatzerfahrung in Afghanistan und haben sich zum Ziel gesetzt, in der Öffentlichkeit ein stärkeres Bewusstsein für Einsatzveteranen zu schaffen. So wurden Politiker, Akademiker, Journalisten, Soldaten und Veteranen um Beiträge gebeten. Der Band enthält drei Geleitworte, einen fiktiven historischen Prolog über Veteranen des Ersten Weltkrieges, das Vorwort der Herausgeber über die neuen Veteranen sowie 22 Beiträge und den Epilog des ehemaligen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe.
Im ersten Kapitel - „Aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ - kommen Soldaten zu Wort. Oberst Norbert Hähnlein - inzwischen General der Heeresaufklärungstruppe - setzt sich mit der Führungskultur auseinander und weist warnend darauf hin, dass Offiziere bei ihren Einsätzen in Afghanistan immer wieder Gefahren ignorieren. Oberst a. D. Rainer Buske beschäftigt sich mit den Anforderungen an militärische Führer im Einsatz. Diese Erfahrungen sind hilfreich für Offiziere, die sich auf ihren ersten Auslandseinsatz vorbereiten. Dazu gehört das „Minenfeld Politik und Medien“: Die Presse sei lästig, aber wichtig, denn früher oder später erfahre sie ohnehin alles. Gefährlich werde es, wenn die Presse merkt, „dass sie belogen wird“; dann werde sie zu einem „Gegner, der nicht zu beherrschen ist“. Ein Vorgesetzter müsse „mit der Presse umgehen können, weil das, was er macht und tut, immer Wirkung in der Öffentlichkeit entfaltet“. Im Gegensatz zu diesen nüchternen Berichten stehen die Erlebnisse eines ehemaligen Hauptgefreiten, der in der Personalführung der Mannschaften eingesetzt war. Sein Name bleibt anonym. Als er mitbekam, dass völlig unzulänglich ausgebildete Soldaten in den Einsatz geschickt werden sollten, riskierte er den Konflikt mit seinem Kommandeur und wurde bald darauf auf eigenen Antrag entlassen. Im zweiten Kapitel beschäftigen sich neun Beiträge mit dem Spannungsfeld von Bundeswehr und Gesellschaft. In dem Beitrag „Wir.Dienen.Deutschland“ setzt sich Oberleutnant der Reserve Bollmann kritisch mit einer an Frieden gewöhnten Gesellschaft auseinander, der jahrelang „die kriegerischen Realitäten in Afghanistan“ verschwiegen wurden. So entstand von dem Einsatz ein Bild, das weit von dem abwich, was die Soldaten erlebten. Diese bekamen nach ihrer Rückkehr zu spüren, dass ihre Leistungen und auch die Opfer von der Gesellschaft kaum anerkannt wurden. Das dritte Kapitel befasst sich mit den psychischen Einsatzfolgen, vor allem mit den Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Der Psychologe Thomas Kleinheinrich berichtet aus seiner Arbeit mit Veteranen und ihren Angehörigen. Er macht deutlich, dass niemand vorhersagen könne, „ob und wann eine Trauma-Erkrankung ausbricht. Es gibt keine einzige Studie zu den Langzeitfolgen von Auslandseinsätzen.“ Der Bundestag, der letztlich für die Einsätze verantwortlich sei, wisse „nichts über den Verbleib der ausgeschiedenen Veteranen“, es gebe keine Erhebungen darüber, wie es ihnen und ihren Familien gehe, welche Folgeerkrankungen es gebe. Schwierig sei die Lage der Veteranen, „deren Wehrdienstbeschädigung immer noch auf der Grundlage abenteuerlicher versorgungsmedizinischer Gutachten, die keinerlei Qualitätskontrolle unterliegen, nach Aktenlage abgelehnt wird“.
Der Epilog des ehemaligen Wehrbeauftragten Robbe ist von persönlichen Erfahrungen geprägt. Er weist unter anderem darauf hin, dass es in der deutschen Gesellschaft eine Paradoxie gebe: „Einerseits tun die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr seit nunmehr 60 Jahren überall in der Welt ihre Pflicht, und andererseits wird ihnen die hierfür angemessene gesellschaftliche Akzeptanz und Solidarität oftmals verwehrt. Unter diesem Widerspruch leiden viele Soldaten.“ Für Robbe ist dieses Buch ein außerordentlich gelungenes Werk, das für den öffentlichen Diskurs über Veteranen in der Bundeswehr ein dringend erforderliches Kompendium sei. Den Herausgebern ist es gelungen, die Problematik der „unsichtbaren Veteranen“ aus unterschiedlichen Perspektiven vorzustellen, damit die Politik - wie im Koalitionsvertrag von 2013 angekündigt - angemessen reagiert.
Marcel Bohnert/Björn Schreiber (Herausgeber): Die unsichtbaren Veteranen. Kriegsheimkehrer in der deutschen Gesellschaft. Carola Hartmann Miles-Verlag, Berlin 2016. 320 S., 24,80 €.
Werner Rahn