IF 3/2016
Der evangelische Militärpfarrer mit Einsatzerfahrung begründet überzeugend, warum die „Innere Führung“ zwingender Bestandteil einer Armee in der Demokratie ist. Er zeigt die historische Verknüpfung mit der früheren Ausrichtung der Bundeswehr auf die Landesverteidigung auf, stellt sich der Schwierigkeit, das Konzept unter den Bedingungen einer Einsatzarmee fortzuführen und setzt sich kritisch mit O zieren auseinander, die den „archaischen Kämpfer“ als soldatisches Berufsbild predigen. Gerade der preu- ßische Gehorsam beruhe auf freier Entscheidung, nicht unterwürfiger Dienstwilligkeit. Zudem sollten Gesellschaft und Armee sich füreinander interessieren. Eine Gesellschaft , die ihrer Armee nur freundliches Desinteresse entgegenbringt, schaft eine Armee, die für ihren Staat nur das gleiche übrig hat. Er ruft aber auch die Soldaten dazu auf, sich in ihrem Umfeld zu engagieren. Der politischen und militärischen Führung schreibt er ins Stammbuch: „Wer mitdenkenden Gehorsam predigt, muss sachliche Kritik nicht nur ertragen, sondern ermöglichen und fördern“, und erinnert: „Treues Dienen“ bedeute vor allem Treue zum Grundgesetz, die verlange, auch als „suboptimal“ erkannte Befehle in Frage zu stellen. Kurzum: Der Band ist Pflichtlektüre. (ag)
Im Sinne der Konzeption der Inneren Führung veranschaulicht dieses Büchlein des evangelischen Theologen und Militärseelsorgers Klaus Beckmann die Unverzichtbarkeit der sich aus der Idee des „Staatsbürgers in Uniform“ ergebenden ethischen Verantwortungsperspektiven. Es wird – gerade auch in Zeiten vermehrter Auslandseinsätze – um Verständnis für den schwierigen Beruf des Soldaten geworben, dessen Beitrag für den Erhalt unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und unserer Sicherheit oft nicht den Respekt und die Anerkennung erfährt, die ihm eigentlich gebühren. Beckmann macht deutlich, dass Innere Führung bereits im Ansatz „Diskussion und Hinterfragen“ bedeutet und liefert insofern ein Plädoyer für ein soldatisches Selbst- und Dienstverständnis, das nicht „pflegeleicht“ ist und „den aufrechten Gang liebt“. Vor diesem Hintergrund wird auch die Bedeutung der Freiheit der Militärseelsorge für die Soldaten aufs Neue deutlich. (Leider fehlen in dem der Redaktion vorliegenden Buchbesprechungsexemplar die Seiten 31–36.) Empfehlung *****
In: Evangelische Verantwortung 5+6
Welche Truppe wollen wir?
von Tobias Jammerthal, Tübingen.
Rezension zu: Beckmann, Klaus, Treue. Bürgermut. Ungehorsam. Anstöße zur Führungskultur und zum beruflichen Selbstverständnis in der Bundeswehr (Reihe Standpunkte und Orientierungen 7), Berlin 2015.
Die Veröffentlichung dieses 94 Seiten schmalen Bändchens fällt just in den Zeitrum, in welchem der Deutsche Bundestag das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland kriegerische Maßnahmen ohne explizites Mandat der Vereinten Nationen absegnete. Der Verfasser ist Militärpfarrer und promovierter Kirchenhistoriker; Letzteres mag mit dazu beigetragen haben, dass seine hier entwickelten Gedanken oft vor dem Hintergrund von historischen Ausführungen gewonnen werden.
Die Frage, der er sich in fünf Argumentationsgängen widmet, rührt an die Grundfesten unserer Nachkriegsdemokratie: taugt das nach 1945 entwickelte Selbstverständnis unserer Bundeswehr angesichts der neuen Herausforderungen der Gegenwart? Damit verbunden ist die Frage, welche Rolle die Kirche für dieses Selbstverständnis zu spielen vermag – und darum sollen Beckmanns Überlegungen auch diesem kirchlich-theologischen Forum zur Kenntnis gebracht werden.
Beckmann beginnt mit einer historischen Standortbestimmung des Konzepts der „Inneren Führung“ und des „Staatsbürgers in Uniform“ (8-32), und nähert sich auch dem Phänomen der Militärseelsorge zunächst auf historischem Wege (32-46), bevor er es explizit gegen Ende seines Büchleins mehr systematisch reflektiert (86-94). Dazwischen liegen eine Untersuchung der Relevanz des Konzepts der Inneren Führung angesichts gegenwärtiger Einsatzsituationen (46-61) und Relexionen zum Selbstverständnis insbesondere des Offiziersnachwuchses (61-86). Neben der durchgängig gezeigten historischen Informiertheit ist es insbesondere die berufspraktische Erfahrung des Militärseelsorgers unter anderem im Afghanistan-Einsatz, welche Beckmanns Ausführungen eine solide argumentative Grundlage verschafft. Bedauerlich ist indes, dass der Carola-Hartmann-Miles-Verlag sowohl auf ein Inhaltsverzeichnis (was einen ersten Überblick erleichtert hätte) als auch auf ein Verzeichnis der zitierten Literatur (was die eigene Nacharbeit erleichtert hätte) verzichtet. Erkennbar ist, dass die einzelnen Abschnitte aus truppenintern gehaltenen Vorträgen und Diskussionen hervorgehen, was einzelne inhaltliche Wiederholungen erklärt, die freilich für den nicht-dienenden Leser keinen Schaden bedeuten.
Beckmann gewinnt seine in angenehm präziser Sprache vorgetragenen Gedanken vor allem im Gespräch mit zwei Dialogpartnern: Bundeswehrkreisen, die an der Tragfähigkeit des Konzepts des „Staatsbürgers in Uniform“ und der „Inneren Führung“ zweifeln einerseits – und der Zviilgesellschaft andererseits. Die erste Gruppe von Gesprächspartnern manifestiert sich insbesondere im Sammelband „Armee im Aufbrauch“ und besteht zu einem erheblichen Teil aus Nachwuchsoffizieren der Bundeswehr. Beckmann hält ihren Forderungen nach einer Überarbeitung des Selbstverständnisses der Bundeswehr hin zu mehr „soldatischer Professionalität“ das ganze Arsenal des historisch sensibel arbeitenden Seelsorgers entgegen, der nicht nur um die große Tradition des verantwortlichen und verantwortenden Gehorsams weiß (insbes. 8-32), sondern der im Truppenalltag in Deutschland und vor allem im Auslandseinsatz die enorme Belastbarkeit dieser in der Nachkriegszeit formulierten Doktrinen erleben konnte (v.a. 46-61).
Für die Leserschaft von nthk.de ist vielleicht die zweite Gruppe von Gesprächspartnern näher. Beckmann fordert von Politik und Gesellschaft – und damit auch von Kirche – mehr Interesse für und mehr Diskussion mit und über die deutschen Streitkräfte. Gerade angesichts der Herausforderungen, die das Ende des Kalten Krieges, der Wandel von der reinen Verteidigungs- zur Einsatztruppe, eine wachsende Zahl von Auslandseinsätzen und nicht zuletzt die Aussetzung der Wehrpflicht für das Selbstverständnis der Bundeswehr und ihrer Soldaten darstellen, bedürfe die Truppe das Aufmerksamkeit der Gesellschaft, die sie verteidigen soll: „[Es] fragt sich auch, ob der Gesellschaft bewusst ist, dass sie genau die Armee bekommen wird, die sie sich durch Interesse oder Desinteresse verdient“ (75). Insbesondere das de-facto-Ende der allgemeinen Wehrpflicht könnte fatale Folgen für das Selbstbild derjenigen haben, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigen sollen, weil die Zusammensetzung der Bundeswehr nun nicht mehr den Querschnitt der bundesdeutschen Gesellschaft wiederspiegelt. Hier liegt eine wichtige Aufgabe der Militärseelsorge: „Militärpfarrer leisten Basisarbeit an Menschen, denen soziale Deklassierung nicht nur Theorie ist. Wir haben es mit einer anderen Klientel zu tun als die überwiegend bildungsbürgerlich saturierten kirchlichen Friedenskreise“ (64). Die hier berichtete Beobachtung ist für innerkirchliche Orientierungsprozesse nicht von der Hand zu weisen: nach wie vor ist evangelische Kirche weitestgehend Sache einer bestimmten Schicht – nur, dass diese ihre inhaltliche Ausrichtung seit den 1980er Jahren entscheidend verändert hat und an die Stelle einer latent rechtsgerichteten Konservativität eine nicht weniger der Gefahr einer Käseglocken-Funktion ausgesetzte Mentalität der politischen Korrektheit, des Individualismus und der Unverbindlichkeit getreten ist. Wie weltabgewandt just diejenigen, die sich unter dem Banner von „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ zu sammeln pflegen, bisweilen sein können, zeigt die öffentlich gemachte Vision einer Abschaffung der Bundeswehr aus dem Munde einer bekannten protestantischen Theologin just zu dem Zeitpunkt, als im Nahen und Mittleren Osten mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ eine menschenverachtende Ideologie militärisch gefährliche Potenz erlangte.1
Gegenüber solchen Gedankenspielen bestechen die in Beckmanns Büchlein zu findenden Erörterungen durch eine angenehme Dosis Realismus. Hier schreibt ein Praktiker, der die Realität kennt und ernstnimmt, der aber nicht im Pragmatismus aufgeht. Seine hier gesammelten Ausführungen sind in ihrer Gänze und in allen ihren Teilen ein flammendes Plädoyer für das Konzept der „Inneren Führung“, den Gehorsam aus Einsicht und den „Staatsbürger in Uniform“ – und ein beeindruckendes Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wenn dieser Appell an die Zivilgesellschaft und die Politik, die Streitkräfte, auf die wir uns im Ernstfall verlassen wollen, nicht an den Rand gesellschaftlicher und politischer Diskurse zu drängen, sondern ernstzunehmen, dass uns in den Bundeswehrsoldaten keine fremde Spezies, sondern Mitbürgerinnen und Mitbürger entgegentreten, deren Fragen und Meinungen zu hören, zu diskutieren und zu respektieren sind – wie unsere eigenen Auffassungen es auch sein wollen –, dann ist dem durch das schnelle Ende der allgemeinen Wehrpflicht näher gerückten Risiko einer abgeschotteten Kriegerkaste in der unseligen Tradition der Weimarer Reichswehr viel entgegengesetzt. Schon allein deshalb ist dieser Veröffentlichung eine breite Rezeption zu wünschen.
1 Vgl. Spiegel-Online, 10.08.2014, 08.02 Uhr:http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/kaessmann-fuer-abschaffung-der-bundeswehr-a-985264.html.
http://www.ev-akademiker.de/aktuell/buchbesprechungen/buchbesprechungen-details/artikel/klaus-beckmann-treue-buergermut-ungehorsam/?cHash=8ec86217702bb2a8dedc14030ba22a5e
Klaus Beckmann: Treue. Bürgermut. Ungehorsam. Anstöße zur Führungskultur und zum beruflichen Selbstverständnis in der Bundeswehr.Carola Hartmann Miles-Verlag 2015, 100 S., 9,80 EUR
Müssen wir besorgt sein um die Rolle der Bundeswehr im freiheitlich-demokratischen deutschen Rechtsstaat? Und welchen Weg geht die (evangelische) Militärseelsorge?
Wenn letztere sich auf dem Gedankenpfad bewegt, den Klaus Beckmann, Leiter des Evangelischen Militärpfarramtes Mayen, in seinem hundert Seiten langen, (auch historisch) kenntnisreichen, oft wohltuend bissigen Büchlein aufblitzen lässt, dann sollte man ihr getrost die Unterstützung auch derer wünschen, die allem Militärischen abhold sind. Der Autor hängt der These an, dass die Lösung von Konflikten (noch) nicht ohne die Einbettung von gut ausgerüsteten Soldaten in diplomatisch- politische Strategien möglich ist.
Ebenso sehr liegt dem Militärseelsorger an der geistigen Ausrüstung von Soldaten und ihren Befehlshabern, an der mentalen Verfassung des Heeres. „Handeln aus Einsicht“ – dahinter darf das Heer nicht zurückfallen und an eine unselige deutsche Vergangenheit anknüpfen wollen, in der von allen Inhalten abgezogener Gehorsam erste soldatische Pflicht war.
In der Militärseelsorge komme es deshalb darauf an, den einzelnen Soldaten in seinem Gewissen anzusprechen und zu stärken. Denn das Bild des „Spartaners“ beginne sich im Heer breit zu machen, das „den Kämpferberuf als solchen zur Basis des Selbstverständnisses“ erhebe, in dem „letztes berufsethisches Kriterium (...) militärische Effektivität“ sei. Spitz fragt Beckmann: „Drückt die Sehnsucht nach ›Kampf‹, Hierarchie und klarer Scheidung zwischen ›uns‹ und ›denen‹ nicht genau die innere Verarmung junger Menschen aus, die auch schon Tausende aus dem Westen in die Reihen des ›Islamischen Staates‹ trieb?“
von Hermann Preßler