Kathrin Orth und Eberhard Kliem,»Wir wurden wie blödsinnig vom Feind beschossen«. Menschen und Schiffe in der Skagerrakschlacht 1916, Berlin:Miles 2016, 248 S.,EUR 19,80[ISBN978-3-945861-34-9]BesprochenvonMichaelEpkenhans:Potsdam,E-Mail:MichaelEpkenhans@bundeswehr.org
In: Militärgeschichtliche Zeitung 2/2017
Die Jahrhunderterinnerung an den Beginn des Ersten Weltkrieges ist seit Längerem Anlass für eine Fülle von Publikationen. Zu diesen gehören neben voluminösen Gesamtdarstellungen, kurzen Überblickswerken oder spezifische behandelnden Einzelstudien auch Editionen zeitgenössischer Quellen. Zu letzteren zählt auch der hier zu besprechende Band. Im Gegensatz zu den Geschehnissen an den verschiedenen Fronten oder in der Heimat, über die sehr viele Zeugnisse unterschiedlichster Provenienz vorliegen, behandelt er den eher weniger bekannten Krieg zur See. Über diesen liegt zwar seit einigen Jahren eine vierbändige Edition, »Die deutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg« (Hrsg. von Gerhard Granier, Koblenz 1999–2004 [= Materialien aus dem Bundesarchiv]), aus der Perspektive der handelnden Akteure vor; der Blick von unten war bisher jedoch ein Desiderat der Forschung. Diese Lücke will die vorliegende Edition wenigstens teilweise schließen. Am Beispiel der Skagerrakschlacht des Jahres 1916 versucht sie dem Leser einen Eindruck von der Realität des Seekrieges aus dem Blickwinkel der Menschen zu vermitteln, die ihn tatsächlich führten und nicht an irgendwelchen Schreibtischen nur planten. Allein diese Absicht verdient großes Lob. Dieses Lob fällt umso größer aus, als es den Herausgebern gelungen ist, neben Offizieren, von denen relativ viele Ego-Dokumente vorliegen, auch andere Angehörige der Besatzungen – Deckoffiziere, Unteroffiziere und Mannschaften – zum »Sprechen« zu bringen. Manche dieser Dokumente sind bekannt, aufgrund entlegener Druckorte aber oft nur schwer auffindbar, andere haben die Herausgeber in einschlägigen Archiven aufgefunden und hier erstmal sediert. Damit der Leser das, was die Dokumente schildern, jedoch auch versteht, beschreiben die Herausgeber in einer kurzen Einleitung zunächst einmal den allgemeinen Hintergrund des Geschehens. Diese Ausführungen über den wilhelminischen Flottenbau vor 1914 sind verständlicherweise sehr gerafft. Fachkundige Leser werden daher manches wichtige Detail vermissen. In diesem Kontext aber mehr zu fordern, wäre jedoch beckmesserisch. Ein Kritikpunkt sei gleichwohl angemerkt. So fällt trotz der verständlichen Beschränkung auf das Wesentliche die Tendenz auf, die offensiven Ziele des Flottenbaus sowie dessen Beitrag zur Verschlechterung des deutsch-britischen Verhältnisses zu relativieren. Mit dieser Deutung, die wichtige Dokumente einfach ausblendet bzw. sich auf inzwischen äußerst umstrittene englische Veröffentlichungen beruft, stehen die Autoren jedoch nichtalleinda. Die auf diesen Abschnitt folgenden Ausführungen geben dann einen gerafften, informativen Überblick über »Operationspläne, Schiffe, Besatzungen zu Kriegsbeginn 1914«. Sie machen das grundlegende strategische Dilemma einer Flotte deutlich, die aufgrund der großen zahlenmäßigen britischen Überlegenheit und der vor dem Kriege sträflich vernachlässigten Geografie darauf hoffte, durch glückliche Umstände in eine Position zu gelangen, in der sie dem Gegner Schaden zufügen und so irgendwie ein Kräftegleichgewicht herbeiführen konnte. Versuche, diesen durch offensive Vorstöße gegen die britische Blockadestellung in der nördlichen Nordsee zur Schlacht zu zwingen, waren reiner Selbstmord und schieden daher als Option aus. Mehr als begrenzte Vorstöße gegen die britische Ostküste erschienen daher, zumal nach den Verlusten in der Schlacht bei Helgoland gleich nach Kriegsausbruch, nicht vertretbar. Aber auch diese Vorstöße enthielten erhebliche Risiken wie die Schlacht auf der Doggerbank am 24. Januar 1915 zeigte. Das ganze Jahr 1915 sollte sich die Hochseeflotte daher zurückhalten. Auf die Dauer war dies für die Seeoffiziere unbefriedigend und vor dem Hintergrund des eigenen Selbstverständnisses wie auch den Erwartungen in der Öffentlichkeit immer weniger vertretbar. Wie sollte man die Existenz einer Flotte nach dem Kriege rechtfertigen, wenn diese keinen Beitrag zum Siege geleistet hatte? Im Frühjahr 1916 begann daher die Flotte unter ihrem neuen Flottenchef, Vizeadmiral Reinhard Scheer, Vorstöße gegen die englische Küste und in die nördliche Nordsee durchzuführen. Deren Ziel war aber keineswegs eine große Schlacht. Angesichts der britischen Überlegenheit ging es vielmehr darum, kleinere gegnerische Verbände aus den Häfen zu locken und zu vernichten. Diese Erfolge würden nicht nur die Existenz der Kaiserlichen Flotte rechtfertigen, sondern – vielleicht – auch jenem gewünschten Kräfteausgleich auf See zugunsten des Deutschen Reichs führen, der die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Entscheidungsschlacht war. Umso überraschter waren Scheer und der Führer der Aufklärungsstreitkräfte, Vizeadmiral Maximilian Hipper, als sie nach einem sorgfältig vorbereiteten Vorstoß auf die Grand Fleet trafen. Wer die Schlacht, die sich aus dem Zusammentreffen beider Flotten am 31. Mai 1916 dann entwickelte, gewonnen hat, ist eine Frage der Perspektive. Scheer selbst war diesbezüglich in seinem hier auszugsweise abgedruckten Bericht ehrlich: Angesichts der geografischen Lage und der zahlenmäßigen Überlegenheit Großbritanniens hatte er keinen Zweifel, »dass selbst der glücklichste Ausgang einer Hochseeschlacht Großbritannien in diesem Krieg nicht zum Frieden zwingen wird« (S. 47). Diese nüchterne Erkenntnis des Flottenchefs bedeutet aber nicht, dass sich die Angehörigen der Besatzungen der ihm unterstellten Einheiten nicht doch irgendwie als »Sieger« fühlten. Die hier abgedruckten Berichte, zumeist unmittelbar nach der Schlacht oder wenig später verfasst, machen dies deutlich. Mit »Freude« tranken die Besatzungen angesichts der offenkundig höheren britischen Verluste »Champagner«, als sie die Jade erreichten, wie Scheers FlaggleutnantErnstvonWeizsäckertrotzallerKritikandereigenenFlottenführung berichtete (S. 54). Auch ein Maschinenobermaat war Tage später noch fasziniert davon, »wie außerordentlich wir, trotz der vielfachen Überlegenheit unseres Gegners, trotz seiner numerischen Überlegenheit an modernen und modernsten Schlacht1871–1918 613OLDENBOURGkreuzern und Großkampfschiffen, Torpedo- und Unterseebooten, trotzdem noch geschnitten haben[sic]«(S. 127). In Zeugnissen wie diesen liegt die große Stärke der vorliegenden Edition. Selten hat eine Edition einen so plastischen Eindruck des Geschehens, der Gefühle derjenigen, die im Kommando- bzw. im Geschützturm, im Maschinenraum, auf dem Verbandsplatz, nach dem Untergang bzw. nach dem Einlaufen vermittelt. Es ist schon beklemmend zu lesen, wenn ein Maschinenoberheizer über seine »Todesangst«, aber auch über die »Erleichterung« nach Treffern beim Gegner berichtet (S. 112), ein anderer Oberheizer das »Bild der Verwüstung« auf dem Oberdeck der »Wiesbaden« und den anschließenden Versuch, sich auf einem Floß in schwerer See zu retten, beschreibt (S. 135 f., 176–181) oder ein Marine-Oberstabsarzt seinen Kampf um das Leben der oft schrecklich entstellten Verwundeten schildert (S. 141–149): »Ein großer Granatsplitter aus der Nackenmuskulatur war unter dem Donner der Schütze sofort zu entfernen. Furchtbare Leiden mußten die Verbrannten ausstehen [...]; alles, was wir hatten an Öl, Salben, Puder, Brandbinden wurde verbraucht, und doch war es noch viel zu wenig; Morphium half kaum gegen die rasenden Schmerzen, dazu die kolossale Hitze und die Durstespein« (S. 144). Dennoch, nicht nur Wilhelm II., dessen schwülstige Siegesrede vom5. Juni1916 hier ebenfalls abgedruckt ist(S. 213–215), sondern auch »einfache« Matrosen waren stolz auf das Geleistete. »Ihr könnt mir glauben«, schrieb der Matrose Erwin Lang an seine Eltern, »daß ich Euch heute stolz über unsere herrliche Schlacht schreibe. Ich bin glücklich, solch ein bedeutendes Ereignis hinter mir zu haben. Es gehört so in unser deutsches Leben hinein, um die Heimat doppelt liebzugewinnen. Es war ein fröhliches Siegen« (S. 209). Umso unverständlicher war es dann, dass die Marineführung, wie die Herausgeber in ihrem Schlusskapitel zu Recht betonen, diese Matrosen nur wenig später als Menschen zweiter Klasse behandelte. Die erste Meuterei konnte sie im Sommer 1917 noch gewaltsam niederschlagen, die zweite löste dann im Herbst 1918denUntergangdesKaiserreichesaus. Alles in allem handelt es sich bei dieser Edition, die auch noch ausführliche Schiffsbiografien enthält, um ein gelungenes Werk. Kleinere editorische Schwächen beeinträchtigen dieses positive Gesamturteil nicht.
Kathrin Orth and Eberhard Kliem, “Wir wurden wie blödsinnig vom Feind beschossen” Menschen und Schiffe in der Skagerrakschlacht 1916. Berlin: Carola Hartmann Miles-Verlag, 2016. ISBN: 978-3-945861-34-9, €19.80 (pbk).
The centenary of the First World War has produced an expected bumper crop of books on many subjects, and the Battle of Jutland has been no exception. What sets this book apart from many others is not its subject material, but its perspective, or, more correctly, perspectives. While prominent participants in the action published memoirs, the voices of those who served and fought at other levels have been harder to find. With none of the participants left alive to tell of their experiences, scholars and enthusiasts must find alternate sources for information. English-language scholars have long had access to first-person accounts by sailors at Jutland through the collection by H. W. Fawcett and G. W. W. Hooper, The Fighting at Jutland (first published in 1921), this remained focused solely on sailors of the Royal Navy. Kathrin Orth and Eberhard Kliem have now produced a German equivalent. (The title, drawn from one of the accounts, translates to ‘We were bombarded by the enemy’.) Although their collection is newlypublished, the materials within were deliberately chosen to avoid the tricks of memory and the need for self-justification which can affect accounts written years after the battle. This was especially true of some works published either in the wake of the war, justifying the navy’s performance, or during the Third Reich years, where some military memoirs could and did serve as political propaganda. The collection makes use of after-action reports, diaries, letters home to family and friends, and other materials long stored in archives or private family collections. The book begins with an analysis of the historical sources on Jutland, and the reliability and provenance of published memoirs and recollections through various periods of German history. The next few chapters of historical background, more of interest to the casual reader than the historian, provide a brief sketch on the Imperial German Navy prior to and during the war. None of the latest scholarship on the battle used in the historical sections. However, it is the material in the chapters which follow which are of greater importance and interest. These chapters, devoted to the first-person accounts, are broken into sections of the ships and events. Perspectives from the command deck, turrets, engine rooms, sick bays, and from those whose ships were sunk are all included, as are Book Reviews 693post-battle reflections. Each chapter is preceded by an appropriate photograph or artwork depicting conditions during action. Each contributor is fleshed out with a summary of their career up to the battle. The work concludes with brief histories of the ships on which the contributors served. There is an attempt to keep perspectives as broad as possible. For example, in the chapter on bridge experiences, we have recollections from a range of officers on board the larger warships (including Hans Langsdorff, captain of the ill-fated Graf Spee in 1939), through to the captain of a torpedo-boat and a very junior officer barely a year into his service. Descending into the bowels of the ships brings the experiences of ordinary sailors stationed throughout their ships, including one posted to the propeller shaft of SMS Nassau, hardly a site to witness the battle. The recollections of those serving in the sick bays range from first-person accounts of what they encountered through to meticulous after-action reports. This book will serve as a source of first-hand account of the battle which are no longer available through interviews. The German perspective is to be welcomed as a confirmation and a reinforcement to the details available of British experiences in the battle. As the only battle of dreadnoughts, and as the largest naval battle of the Great War, Jutland’s story will continue to be an important part of that narrative. Those who fought at Jutland, regardless of which side, represent an era long gone.
David H. Olivier Wilfrid Laurier University, Brantford Campus, Brantford, ON, Canada